- Gewerbeordnung und Gewerkschaften
- Gewerbeordnung und GewerkschaftenDer Norddeutsche Bund gewann auch bei der Vereinheitlichung der Wirtschafts- und Sozialpolitik Bedeutung. Seine Gewerbeordnung vom 21. Juni 1869 - sie wurde 1871 als Reichsgewerbeordnung für das Deutsche Reich übernommen - führte in allen Mitgliedsstaaten die Gewerbefreiheit ein. Damit hatte nun jeder Mann und jede Frau das Recht, ein Gewerbe zu betreiben, soweit nicht gesetzliche Ausnahmen oder Beschränkungen bestanden. Der Zunftzwang und die Abhängigkeit des Gewerbetreibenden von behördlicher Konzession wurden aufgehoben; eine zentrale Forderung der Liberalen wurde damit verwirklicht.Die Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund hob auch alle Verbote auf, die sich gegen das Koalitionsrecht richteten. So hatte die preußische Gewerbeordnung von 1845 die Bildung von Verbindungen unter Arbeitern, Gesellen, Gehilfen oder Lehrlingen unter Geld- bzw. Gefängnisstrafe gestellt und den Streik mit Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr bedroht. Nach der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes nun hatten Unternehmer und Arbeitnehmer das Recht, zur Erlangung günstiger Lohn- und Arbeitsbedingungen Verabredungen zu treffen und Vereinigungen zu bilden.Schon im Zusammenhang mit der Revolution von 1848/49 waren einzelne gewerkschaftliche Vereinigungen gegründet worden, die sich 1848 in der Allgemeinen deutschen Arbeiterverbrüderung zusammenschlossen, seit den 1850er-Jahren aber von den deutschen Bundesstaaten verfolgt wurden. Einen Neuanfang bildete die Gründung des »Allgemeinen Deutschen Zigarrenarbeitervereins« 1865 und des »Deutschen Buchdruckerverbandes« 1866. Den Buchdruckern gelang es auch, 1873 den ersten Tarifvertrag abzuschließen. Bereits Ende der 1860er-Jahre waren die deutschen Gewerkschaften politisch gespalten: Den »freien«, sozialistisch orientierten Gewerkschaften standen die nach ihren Gründern benannten Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine gegenüber, die bei liberaler Grundorientierung politisch unabhängig waren; Mitte der 1890er-Jahre kamen die christlichen Gewerkschaften als dritte Richtung hinzu. Durch das Sozialistengesetz wurde die legale Gewerkschaftsarbeit zunächst zerschlagen. Nach seiner Aufhebung stellten die freien Gewerkschaften ihre Organisation auf eine neue Grundlage. Sie schlossen sich 1890 in der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands zusammen, deren Vorsitzender Carl Legien wurde. Die freien Gewerkschaften wurden nun Massenorganisationen; 1913 umfassten sie über 2,5 Millionen Mitglieder (christliche Gewerkschaften: 343 000; Hirsch-Dunckersche Gewerkvereine 1914: 107 000). Während die Tarifverträge ihren Einzug in Bereiche der Klein- und Mittelindustrie hielten, gelang es den Gewerkschaften bis 1918 nicht, mit Großunternehmen Tarifverträge abzuschließen. Erst im Zuge der Novemberrevolution erreichten die Gewerkschaften im Abkommen über die Zentralarbeitsgemeinschaft vom 15. November 1918 ihre Anerkennung als legitime Interessenvertreter der lohnabhängig Beschäftigten.
Universal-Lexikon. 2012.